Pressespiegel

In ihrem jüngsten Ein-Frau-Stück verwandelt sich Satu Blanc in stilgerechter Umgebung in die Äbtissin Walpurga von Runs.

Badische Zeitung, 13. Oktober 2012
Text und Bild: Annette Mahro

Gefangen ausserhalb der Klostermauern

Satu Blanc als Walpurga von Runs in »Dornbüsche im Acker des Herrn. Bekenntnisse einer Äbtissin« im Museum Kleines Klingental.

In den Gassen der nächtlichen Stadt hat sie sich schon wieder herumgetrieben und steigt höchst unerwartet in die Szenerie ein. Man darf vermuten, dass sich die Nonne aus dem Basler Kloster Klingental nicht etwa aus Abenteuerlust oder dem Ruf heimlicher Liebschaften folgend auf den Weg macht. Nur eine weitere Ordensschwester hat den Quellen gemäss zusammen mit ihr, der Äbtissin Walpurga von Runs, vier Jahre zuvor dem Gebot des Basler Rats widerstanden, dem Klosterleben endgültig den Rücken zu kehren. 1529 setzt sich in der Stadt die Reformation endgültig durch. In diesem Jahr will Walpurga wissen, was ausserhalb der Klostermauern passiert.

Das Nonnen-Habit hat sich Satu Blanc diesmal übergeworfen, um im historischen Originalumfeld des ehemaligen Klingentalklosters der Stadtgeschichte zu Zeiten der Reformation nachzuspüren. Der Blickwinkel der Schauspielerin und Historikerin, die gerne Berühmtheiten wie Erasmus von Rotterdam oder Paracelsus in ihre Stücke einbaut und als »Spionin aus Rom« auch schon im Gefolge des Papstes das Basler Konzil hat lebendig werden lassen, ist diesmal noch ein Stück ungewöhnlicher als sonst. Das liegt nicht nur an der persönlichen Betroffenheit der Walpurga, die der Bildersturm, dessen Zerstörungswut zahlreiche Kunstwerke des Basler Münsters zum Opfer gefallen waren, ebenso wenig kalt lassen können, wie der Auszug fast ihrer gesamten Schwesternschar aus dem Klingental.

Einmal mehr gibt Satu Blanc indes eine äusserst aufgeklärte Frau, die die ihr angebotene Freiheit, das Kloster, in das sie als Kind noch gegen ihren Willen gebracht worden war, ihrerseits zu verlassen, ablehnt: »Man hat mich gezwungen, diesen Schleier zu nehmen, aber niemand kann mich zwingen, ihn wieder abzulegen.« Sie erkennt die draussen auf sie wartende neue Unfreiheit und rechnet wütend mit Martin Luther ab, der sich erst für die Gleichheit der Geschlechter ausgesprochen, dann aber doch der Frau den zweiten Platz neben ihrem Ehemann eingeräumt hat. Schon deshalb gerät ihr die Abrechnung mit der Reformation heftig, die Bauernkriege kommen am Rand zur Sprache, aber auch die wirtschaftlich problematische Situation, in die die Zeit die Klöster gebracht hat, war doch mit dem Buchdruck das hier viel betriebene Handwerk des Kopisten überflüssig geworden.

Das 1256 von Walther von Klingen gegründete und mit Land und Besitz ausgestattete spätere Kleinbasler Kloster hat indes weitere Einnahmen, von denen die Äbtissin, die auch Geschäftsfrau ist und sein muss, berichtet. Von seinem ersten Standort im Wehratal nahe Säckingen war man bereits 1274 wegen des Streits zwischen Rudolf von Habsburg und dem Basler Bischof ins nahe Umfeld des Letzteren gezogen. Der Abhängigkeit innerhalb einer patriarchalischen Gesellschaft waren die Nonnen dabei so wenig entkommen wie jede, wenngleich in der Karriere schon weit aufgestiegene Äbtissin. Dass ihre Lebensform, auch wenn sie innerhalb der katholischen Kirche keine gleichwertige Stellung einnahm und etwa weder Sakramente spenden noch die Beichte abnehmen durfte, ihrerseits Freiheit bedeuten konnte, dem lässt sich aus Sicht des 16. Jahrhunderts folgen.

Solchen Gedanken gleichsam den Weg zu leuchten und Geschichte in historischem Umfeld lebendig werden zu lassen, gehört zu Satu Blancs Theateridee, wie ihre nach Bedarf unschuldig riesigen oder stechend blauen Augen zur Vielzahl ihrer Figuren. Unter der Regie von Christine Ahlborn und in einem einmal mehr sehenswerten Kostüm (Käthi Fingerlin-Fust) schlüpft sie im Klingental in mehrere Rollen. Ohne dafür das Habit abzulegen, wird Walpurga sowohl zum bärbeissig anbiedernden Ratsherrn wie auch zur neidischen Nachbarin, die sich aus der neuen Lehre nimmt, was in ihren Kram passt: »Dieser Luther hat nämlich herausgefunden, dass es das Fegefeuer gar nicht gibt!« Dass die zierliche Schauspielerin es als Äbtissin auch schafft, die Wände der alten »Schaffneistube« im Kleinen Klingental, zu durchschreiten und sich damit einen weitläufigeren Denk- und Bühnenraum zu bauen, ist nur ein zusätzliches kleines Detail in einer grossen, berührenden Geschichte.