Pressespiegel

Satu Blanc als Emmy Hennings

Badische Zeitung, 15. November 2018
Text: Roswitha Frey

Eine Frau am Abgrund

Die Basler Schauspielerin Satu Blanc lässt in ihren Stück »Ein poetisches Verhör« das Leben von Emmy Hennings Revue passieren.

Ein Holzstuhl, eine grobe Decke, ein Blechnapf sind die einzigen Dinge auf der leeren Bühne. Barfuss tritt Satu Blanc hinter dem Vorhang hervor, in einem weiten Hosenrock, einfacher Bluse, das blonde Haar streng zurückgebunden. Sie wickelt sich in die raue Decke, blickt verloren ins Weite: »Heute Nacht schien der Mond durch die Gitterstäbe auf mein Gesicht.« Karg wie eine Zelle wirkt die Bühne im Kellertheater im Lohnhof in Basel und das passt zu diesem Stück »Ein poetisches Verhör« von und mit Satu Blanc, in dem die Basler Schauspielerin eine Frau am Abgrund darstellt: Emmy Hennings, »Tingeltangelsängerin« im Cabaret, Dichterin, Schriftstellerin, Tänzerin, begehrte Muse der Berliner Boheme und der Dadaisten, morphiumsüchtig, gezeichnet von Armut, Hunger, Entbehrung, Prostitution, exzessivem, ruhelosem Leben und traumatischen Erfahrungen auf der Strasse und im Gefängnis.

Vor den »Schlächtereien und Donnerschlägen des Krieges«, vor dem Gemetzel in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, wo viele ihrer befreundeten Dichter, Musiker, Künstler niedergemäht wurden, flieht Emmy Hennings an die Limmat, nach Zürich, wo »alles so gediegen« ist, die Möwen und Schwäne so sauber, die »weissen Berge ganz ohne Blutspuren«. Doch das Exil in der Schweiz ist hart für die »Hungerkünstlerin«, denn sie hat keine Papiere, keine Aufenthaltsbewilligung, findet nirgendwo Arbeit, fühlt sich als Heimatlose, als Fremde, muss sich auf der Strasse prostituieren: »Ich verkaufe meine Seele auf der Bühne und auf der Strasse, um meinen Leib zu erhalten, der ab und zu nach Brot schreit.«

Zerbrechlich, innerlich und äusserlich fragil, verzehrt von vom Daseinsschmerz, von Drogensucht, von der Verlorenheit, aber auch getrieben von den Illusionen und Träumen von Liebe und Schönheit in einer kriegszerstörten Welt, spielt Satu Blanc diese Künstlerin, die Zuflucht im Spiel sucht. In einem szenischem Monolog lässt sie Emmy Hennings, 1915 inhaftiert im Gefängnis, über ihr »Lotterleben«, ihre Empfindungen von Sünde und Sehnsucht, ihren Gefühlstaumel, ihre Verzweiflung erzählen. Sie richtet ihre Worte in einer aufwühlenden Sprache an die saturierten »Herren«, die über sie zu Gericht sitzen, aber heimlich lüstern an ihre Garderobentür klopfen, an die verlogene Gesellschaft, die alle Künstler und Träumer als Ausgestossene betrachtet, an die ehrbaren Bürger dieser Stadt, die keinen Anteil nimmt am Elend und Kummer der Fremden und Emigranten.

Hochsensibel und feinnervig bis in die kleine Gesichtsregung, die kleinste Geste geht Satu Blanc in der Rolle dieser exzentrischen Dichterin, Tänzerin und Cabaret-Schauspielerin auf, die sich »Mut fürs Leben« spritzt und im Varieté Maxim als Spinnenfrau auftritt. Spinnengleich in den Bewegungen spielt Satu Blanc diese Szene als Tingeltangel-Kassandra, die Unheilvolles verkündet und gegen Krieg, Niedertracht und Unterdrückung anschreit: »Schluss mit dem Korsett und stummen Frauen.« Liebevoll spricht Emmy von ihrem Lebensgefährten, dem Dadaisten und asketischen Denker Hugo Ball, dem »einzigen Mann, mit dem ich beten konnte«. »Der Mönch und die Maskenspielerin« nannte man das Paar, das in Zürich das legendäre Cabaret Voltaire gründete. Das Flackernde, Todessehnsüchtige, Lebenshungrige, Zerrissene dieser Frau bringt Satu Blanc in expressiven wie auch intimen Momenten hautnah zum Ausdruck.

Die kammerspielartige Atmosphäre in diesem Stück, das mit sparsamsten Bühnenmitteln auskommt, die eindringlichen Texte und das facettenreiche Spiel von Satu Blanc, die sich mit allen Fasern und aller Empfindungskraft in diese Frauenfigur hineinversetzt, halten die Zuschauer von der ersten bis zur letzten Minute in Bann. Zum Schluss wickelt sich Emmy wieder in die grobe Decke ein, als Schutz vor dieser widrigen Welt.