Badische Zeitung, 9. September 2010
Text und Bild: Roswitha Frey
Zeitreise zur Schwarzen Kunst
Eine historische Führung in das frühe 16. Jahrhundert, als Basel eine
blühende Drucker-Stadt war.
Eiligen Schrittes läuft eine zierliche Frau über den Zebrastreifen beim Kunstmuseum.
Sie sieht aus, als sei sie aus der Zeit gefallen: Gekleidet in ein bodenlanges,
hochgeschlossenes blaues Gewand aus Wolle, einen kleinen Beutel umgehängt, das
Haar von einer Haube und einem Tuch bedeckt. Es ist die Schauspielerin Satu Blanc,
die in der Rolle der Druckerfrau Anna Katharina durch das Basel des frühen 16.
Jahrhunderts führt: einer Zeit, in der Basel eine blühende Drucker-Stadt und die
Schwarze Kunst, die Kunst des Buchdrucks, hoch angesehen und privilegiert war. Zu
dieser Zeit lebten auch Erasmus von Rotterdam und Hans Holbein der Jüngere in
Basel.
»Grüss euch Gott, Ihr guten Leute«, begrüsst Satu Blanc die vor dem Kunstmuseum
wartende Gruppe zu ihrem theatralisch gestalteten Spaziergang »Malerei und
schwarze Kunst« auf historischen Spuren. »Folgt mir!«, sagt sie und geht voraus in
Richtung St. Alban-Tal, dem »ersten Industriequartier der Stadt«, wo die Gallician-
Papiermühle war und noch heute das Papiermuseum Einblick in dieses Gewerbe und
Handwerk gibt. Die Anna Katharina, die Satu Blanc so lebhaft spielt und die für eine
Frau des 16. Jahrhunderts erstaunlich emanzipierte Reden führt, hat zwar kein
historisches Vorbild. Doch es gab damals den bedeutenden Basler Buchdrucker und
Verleger Johann Froben, in dessen Werkstatt der niederländische Gelehrte Erasmus
von Rotterdam ein- und ausging, um seine Schriften drucken zu lassen. Auch die
Thesen Martin Luthers wurden bei Froben gedruckt. Als »Frau des Hauses«, die selbst
die Korrespondenz der Offizin führt, erzählt Anna Katharina von Geschehnissen und
Ereignissen in der Werkstatt und von den Privilegien, die dieser Berufsstand der
Drucker genoss: »Wir können uns vor Aufträgen nicht retten«. Anschaulich führt sie
die Szenen um Erasmus von Rotterdam vor Augen: »Da stand er am Schreibpult,
gehüllt in Pelz und Seide und schrieb an seinen Werken.« Und plaudert aus, dass der
Meister nur burgundischen Wein trinke und mäkle, das Mahl liege ihm etwas schwer
im Magen, auch wenn es nur ungesalzener Haferschleim war ...
Dann kommt Anna Katharina auf den Maler Hans Holbein den Jüngeren zu sprechen,
der um 1515 nach Basel kam – wohl angelockt von der blühenden Druckerstadt, die
Illustratoren gutes Einkommen versprach. Über den grossen Malerfürsten weiss die
Druckerfrau einiges zu erzählen, etwa, dass ihm die Heirat mit der Witwe Elsbeth
Binsenstock alle Türen in Basel öffnete und er in die »Zunft zum Himmel«
aufgenommen wurde. Bald bekam Meister Holbein Auftrag um Auftrag, er verzierte
den Grossrats-Saal mit Malereien, die reichen Basler Bürger und Bürgersfrauen liessen
sich von ihm in Konterfeis verewigen, auch Erasmus von Rotterdam liess sich von ihm
porträtieren.
All dies erzählt Satu Blanc, während sie vor einem alten Haus mit der Aufschrift
»Buchbinderei Flügel« verweilt und die Gruppe durch eine dämmrige Allee zur St.
Alban-Kirche und vor die alten Mauern des St. Albanstifts führt. »Könnt Ihr Euch
vorstellen, hinter solchen Mauern zu leben? Ich nicht!«, ereifert sich die resolute
Anna Katharina. Erasmus von Rotterdam habe es geschafft, sich nicht an das
strenge Fastengebot halten zu müssen, verrät sie mit verschwörerischer Miene. Und
raunt von der Affäre um den Basler Bürgermeister Jakob Meyer zum Hasen, der Geld
in die eigene Tasche statt in die Stadtkasse steckte, im Kerker sass und »sich als
reuiger Sünder zu Füssen der Madonna malen liess« – von Hans Holbein dem
Jüngeren. Und schon ist Frau Anna Katharina wieder bei einem ihrer
Lieblingsthemen, dem Meister Holbein, dem der Erfolg in Basel bald nicht mehr
genügte und der an einem der europäischen Königshöfe Hofmaler werden wollte. Er
versuchte sein Glück in London, bei Heinrich VIII, wo er es tatsächlich zum Hofmaler
brachte. »Wenn das so weitergeht mit den Männern, gehe ich auch nach London, das
quillt über vor Buchdruckerinnen und Verlegerinnen«, empört sich Anna Katharina
süffisant über manch selbst-herrliches Gebaren jener Zeit.
Vorbei am Gewerbekanal, dem St. Albanteich, geht es zu weiteren Stationen, einem
Brunnen im St. Alban-Kirchrain, der Papiermühle und dem »Dalbeloch« mit Blick auf
die alte Stadtmauer. Dort erzählt Anna Katharina von den gewaltigen Veränderungen
in der Stadt zur Zeit der Reformation, der konfessionellen Glaubenskämpfe, als die
Reformatoren immer mehr Anhänger fanden. Sie erinnert sich an einen regnerischen
Abend, als es in der Druckerwerkstatt ihres Mannes Streit darüber gab, ob man die
Thesen des Martin Luther drucken und verteilen solle. Heftig und intensiv berichtet
sie vom Bildersturm, vom Aufstand der Zunftbrüder, von jenem Aschermittwoch, als
auf dem Münsterplatz die Kruzifixe, die Statuen, die Bilder brannten: »Alle mussten
zum neuen Glauben übertreten oder die Stadt verlassen.«
Basler Geschichte und Geschichten schauspielerisch spannend darzustellen - das
gelingt Satu Blanc in diesem Stück von Christine Ahlborn (Text und Regie) in der
Figur der Anna Katharina, die sich mit den Worten verabschiedet: »Leben Sie wohl
und Gottes Segen« und als kleinen »Ablass« noch Münzen für ihren Beutel
einfordert ...