Pressespiegel

Satu Blanc in »Die Grenzgängerin«

Badische Zeitung, 15. Oktober 2016
Text: Roswitha Frey

Der Fritz ist kein schlechter Mensch

Satu Blanc wandelt in »Die Grenzgängerin« zwischen Figurenspiel und Lokalgeschichte in Zeiten des Naziterrors.

»Endlich! Frieden! Der Krieg ist endlich vorbei!«. Mit diesem Ausruf stürzt Hanna zur Tür herein und rennt die Treppen hinunter in den Keller, um nach dem versteckten jüdischen Flüchtling zu sehen. Hanna ist die Hauptfigur in dem neuen Stück »Die Grenzgängerin« von und mit Satu Blanc. Die Schauspielerin hat in ihrem eigenen Theater »Lo Studiolo« in Basel wieder eine historische Zeitschublade geöffnet. Dieses Mal spielt sie in der Regie von Colette Studer eine Frau aus Lörrach, die als Dienstmädchen nach Riehen kam und einen Schweizer geheiratet hat, den Obergrenzwächter Fritz.

Im Grenzgebiet gerät Hanna in die Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Die Grenze ist zu, ein Stacheldrahtverhau trennt die Länder. Kolonnen von Flüchtlingen, die sich vor dem Nazi-Regime in die Schweiz retten wollen, werden an der Grenze in Riehen zurückgeschickt. Viele springen aus Verzweiflung vom fahrenden Zug. Wie die Grenzbewohner im Raum Lörrach, Riehen und Basel in diesem Klima der Bedrohung und des Misstrauens reagiert haben, lässt Blanc durch verschiedene Rollenwechsel nachvollziehbar werden.

Die einen haben die Weisungen strikt ausgeführt, die anderen haben den Flüchtlingen geholfen. »Halt! Schweizer Grenze! Bei jedem Fluchtversuch wird geschossen!«, tönt Satu Blancs resolute Stimme, wenn sie sich als Grenzwächter mit Feldstecher in Positur stellt. Dann wieder gibt die Schauspielerin die missgünstige Nachbarin Rosi, die auf die »feine Hanna« neidisch ist, weil diese ihr den Fritz weggeschnappt hat.

Vor allem berührt Satu Blanc in der Rolle der Hanna, die eines Tages einen fremden Mann im Kartoffelkeller entdeckt: den Juden Leonard Rosenbaum, der sich durch den Stacheldraht gekämpft hat und sich fiebernd im Keller verborgen hält. Hanna hört rumpelnde Geräusche, schaut mit Schürhaken und Schere bewaffnet nach. »Wer sind Sie? Woher kommen Sie? Was ist mit Ihrem Arm, es ist ja alles voller Blut!« Glaubhaft und bewegend lässt Blanc den Gefühlsaufruhr ihrer Figur Hanna spürbar werden.

Sie reisst die Schrankschubladen auf, holt eine Decke und eine Schüssel Suppe, rennt immer wieder die Treppe zum Kellerraum hinab. Ohne dass der Flüchtling Rosenbaum je sichtbar wird, haben die Zuschauer diese Szenen im Versteck dennoch vor Augen. So packend und anschaulich ist Blancs Darstellung. Geblümtes Kleid, Strickjacke, weisse Schürze, strenger Dutt: Auch äusserlich ist sie ganz in der Figur Hanna aufgegangen, die stellvertretend für ein Frauenschicksal in der Kriegszeit im Grenzgebiet steht. Hanna will keine Heldin sein, dennoch rettet sie den jüdischen Flüchtling: »In deinen Augen lag die gleiche Angst wie bei allen«. Mit wenigen Requisiten schafft Colette Studer ein dichtes Kammerspiel über eine Frau, die in Kriegszeiten Mut und Menschlichkeit beweist.

»Der Fritz ist kein schlechter Mensch. Der Krieg und die Arbeit haben ihn hart gemacht«, sagt Hanna, die zwischen Fliegeralarm, ständiger Anspannung und Angst immer wieder in berührenden Momenten innehält. Viel Lokalgeschichtliches für ihr Stück hat Satu Blanc den authentischen Zeitzeugenberichten aus dem Buch »Fast täglich kamen Flüchtlinge« von Lukrezia Seiler entnommen, auch die Passagen über die Sperrzone und die »Eiserne Hand«, jenes Schlupfloch, das nicht eingezäunt war.

Am Ende des Stücks sieht man Hanna, wie sie nach dem Krieg den Koffer packt für ein neues Leben. Die geschlossene Grenze, die Flüchtlinge, die Fremden: Satu Blancs »Grenzgängerin« wirft zeitlose menschliche Fragen auf, die heute wieder erschütternd aktuell sind.